Ingerfeld + Laube

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Sechs Tipps für den Fremdsprachenunterricht

Anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung möchte ich meinen Blog nutzen, um kurz und übersichtlich einige Tipps für den Fremdsprachenunterricht zu sammeln. Die Auswahl ist persönlich u. spiegelt meine Erfahrungen als Beobachterin von Fremdsprachenunterricht wider.

  1. Flexibler Umgang mit dem Lehrbuch

Der schulinterne Lehrplan moderner Fremdsprachen vieler Schulen besteht häufig aus dem Inhaltsverzeichnis des Lehrbuchs. Das ist verständlich, denn i. d. R. ist das Lehrbuch Leitmedium des Fremdsprachenunterrichts vor allem in den ersten Lernjahren. Es ist eine wichtige Stütze für Schüler:innen, kann Lehrer:innen bei der Unterrichtsplanung entlasten und soll für die Einhaltung von Standards sorgen. Hält man sich aber zu sklavisch daran, verschenkt man Chancen. Ich möchte hier nicht erneut die Nachteile von Lehrwerken aufzählen, das haben viele andere an anderer Stelle schon getan. Ich möchte aufzeigen, wie ein flexibler Umgang mit dem Lehrwerk gelingt. Die größte Angst von Kolleg:innen ist meist

a) die fehlende Vergleichbarkeit, wenn es Parallelkurse gibt:

Vergleichbarkeit erreicht man durch Absprachen. Vom Lehrwerk weggehen heißt nicht, dass man nach individuellem Gusto unterrichtet. Im schulinternen Lehrplan können Themen ausgewiesen werden, gerne mit Wahlmöglichkeiten - auch jenseits des Schulbuchs.

b) , dass Schüler:innen Vokabeln und Grammatik einer neuen Lektion nicht kennen, wenn die vorherige Lektion z.B. ausgelassen wurde:

Das Ziel des Umgangs mit Vokabular und Grammatik sollte die Selbständigkeit der Schüler:innen sein. Man kann schon früh im ersten Lernjahr den Umgang mit Wörterbüchern (analog und digital) üben. So können sie selbständig unbekannte Vokabeln aus Lehrwerkstexten erschließen. Die langen Vokabellisten zu jeder Lektion sollen sowieso nicht einfach so heruntergelernt werden: Wortschatzarbeit bedeutet auch und vor allen Dingen, Wortschatz lernbar zu machen, am besten durch von den Schüler:innen erstellte sinnvoll und vorab durchdachte Wortschatzlisten (z.B. thematisch gruppiert) oder MindMaps, hier gibt es vielfältige digitale Lösungen. Auch benötigen Schüler:innen neben einem thematischen Grundwortschatz nicht alle die gleichen Vokabeln. Hier ist das Stichwort der individuelle Wortschatzerwerb, der das Mitteilungsbedürfnis der Schüler:innen berücksichtigt. Häufige Sorge ist dabei, dass in der Klassenarbeit Vokabeln vorkommen, die die Schüler:innen nicht kennen. Dem kann man abhelfen, wenn man endlich Lückentexte und geschlossene Grammatik- und Wortschatzüberprüfungen streicht und sich anstattdessen auf die unterschiedlichen Fertigkeiten konzentriert: Überprüfung des Hörverstehens, des Leseverstehens, etc. und des Schreibens. Das geht bei entsprechender Vorbereitung schon in der ersten Klassenarbeit.

c) die hohe Arbeitsbelastung bei der Erstellung von Materialien.

Materialien für einen zeitgemäßen Unterricht, der Digitalität mitdenkt, gibt es zuhauf im Internet, es gibt Whatsapp-Gruppen, in denen fleißig geteilt wird und auch die Möglichkeit der fachschaftsinternen Erstellung von Materialien existiert. Eine Menge junger muttersprachlicher Lehrer:innen sind in sozialen Netzwerken und auf Youtube zu finden, die tolle Materialien kostenlos teilen.

Das Lehrbuch kann immer genutzt werden, wenn es sinnvoll ist: Es gibt die Grundstruktur vor, aber Lektionen können vor- oder nachgestellt werden, sie können gestrichen oder ergänzt werden, sie können nur kurz oder sehr ausführlich behandelt werden, sie können für eine Zeit durch Lektüren ersetzt werden, etc. Dazu muss sich die Fachschaft zusammensetzen und Curriculumsarbeit betreiben.

2. So viel Grammatikarbeit wie nötig, so viel Wortschatzarbeit wie möglich

Grammatik und Wortschatz haben dienende Funktion. Das ist allen klar und eine Selbstverständlichkeit, es sei denn, man hat einen leistungsschwächeren Kurs erwischt. Dann verharrt die Progression viel zu oft bei stark geschlossenenen und formbezogenen Übungen. In einem Schuljahr kommt man, wenn überhaupt, nur bis Lektion 3, denn die Schüler:innen “müssen ja erst mal die regelmäßigen Verben konjugieren können.” Dass sie die Formen lernen müssen, um über sich und andere zu sprechen - das ist klar. Das funktioniert besser als mit dem xten Lückentext oder Würfelspiel im aktiven Tun: Im Schreiben und Sprechen, im Sätzebauen und Ausprobieren. Klein anfangen hilft: Erst spreche ich über mich, dann mit einem Gegenüber und dann über andere. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Wortschatz, er ist sogar wichtiger als Grammatik. Wie man Wortschatzlernen nicht stiefmütterlich behandelt, sondern in den Unterricht integrieren kann, habe ich hier beschrieben..

3. Die Nutzung der Fremdsprache auch als Arbeitssprache aktiv trainieren

Wenn Lernende im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht längerfristig selbständig an Projekten arbeiten oder auch nur gemeinsam in der Gruppe eine kleine Präsentation vorbereiten, gehen Sprechgelegenheiten verloren, wenn Schüler:innen nur Deutsch sprechen. Wer Kollaboration in der Fremdsprache nutzen möchte, muss die Nutzung der Fremdsprache als Arbeitssprache anbahnen und zwar nicht nur durch die Hereingabe von Vokabellisten, sondern ebenso, wie auch thematischer Wortschatz eingeführt und geübt wird. Phasen der sprachbezogenenen Arbeit im Vorfeld oder als Nachbereitung einer Gruppenarbeit sind dazu geeignet, die Häufigkeit der Nutzung des Spanischen als Arbeitssprache zu erhöhen. Viel wichtiger ist aber, schon im ersten Lernjahr damit zu beginnen: Beschränken sich die Dialoge zunächst einmal auf kurze Absprachen darüber, wer beginnt, wer weitermacht und ob die Antwort korrekt war oder nicht, können diese Redemittel Schritt für Schritt in der aktiven Nutzung mitwachsen.

4. Strategietraining zur Förderung von Selbständigkeit

Schüler:innen sollen als selbständige, im Idealfall lebenslang Fremdsprachenlernende aus dem Unterricht herausgehen. Dazu bedarf es der Sprachlernkompetenz. Es gilt, Lernstrategien und Lernmethoden in allen Kompetenzbereichen zu fördern und die Aktivierung von Vorwissen nicht zu vergessen, denn durch die Reflexion über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Bezüge zwischen verschiedenen Sprachen wird eine neue Sprache leichter gelernt. Um Meta-Lernen im Fremdsprachenunterricht zu initiieren, bedarf es der Bewusstmachung, des gemeinsamen lauten Denkens und des Trainings der Selbsteinschätzung: Wo stehe ich? Wie bin ich zur Lösung gekommen? Auf welche Weise habe ich die neuen Wörter im unbekannten Text erschlossen? Wie ist es mir gelungen, einen spontanen Kurzvortrag zu halten? Was funktioniert schon gut? Was muss ich noch üben? All dies wird zu häufig stiefmütterlich behandelt. Verschiedene Lernwege kennenlernen, sie überhaupt als Lernwege zu erkennen und darüber nachzudenken, das darf auch in der Muttersprache geschehen, wenn man noch am Anfang des fremdsprachlichen Lernprozesses steht. Im Bereich des Leseverstehens erzielt man so z.B., je nach Vorkenntnissen der Schüler:innenen, bereits große Erfolge. Auch wenn die Lernenden noch nicht aktiv dazu in der Lage sind, Sprache zu produzieren, können sie oft schon sehr schnell auch umfangreichere authentische Texte in ihren Hauptaussagen verstehen. Gerade dort wird deutlich, wie ertragreich Strategietraining sein kann. Dazu braucht es Zeit. Lieber ein paar Vokabeln und eine Lückenübung streichen und sich darüber austauschen, wie man besser spricht, schreibt, liest und hört. Dazu braucht es Transparenz. Die Schüler:innen müssen wissen, was das Anliegen ist und wozu welche Strategie, Technik oder Methode genutzt werden kann.

5. Rassismuskritik

In meinem letzten Referendar:innenjahrgang haben wir eine Recherche zu Rassismus in gängien Spanischlehrwerken durchgeführt. Grundlage war die Definition von Rassismus, die Karim Fereidooni, Rassismusforscher an der Universität Bochum, benutzt. Die Ergebnisse waren erschreckend: In allen untersuchten Lehrwerken wurden wir fündig. Dies hat dazu geführt, dass rassismuskritische Fremdsprachendidaktik nun noch zentralerer Teil der Ausbildung in meinem Fachseminar ist. Gerade im Fremdsprachenunterricht, der interkulturelle Handlungsfähigkeit (der Begriff der Interkulturalität ist mit Vorsicht zu behandeln, besser: Transkulturalität) zum Ziel hat, haben wir diesbezüglich eine besondere Verantwortung. Wer sich in das Thema einhören will, dem sei dieser Vortrag von K. Fereidooni empfohlen.

6. Digitalität mitdenken

Schule wird irgendwann einmal postdigital sein, Philippe Wampfler schreibt z.B. hier darüber. Momentan sieht die schulische Realität aber häufig noch anders aus, viele Schulen und Kollegien befinden sich in einem weitreichenden Transformationsprozess. Für den Fremdsprachenunterricht finde ich zwei Aspekte besonders wichtig:

  1. Den digitalen Raum ernst nehmen:

    Kompetenzförderung kann nicht mehr nur bei Analogem stehenbleiben. Ein gutes Beispiel dafür ist das Lesen. Analoges Lesen unterscheidet sich von digitalem Lesen - beides müssen Schüler:innen trainieren. Selbiges gilt für das Schreiben: Schüler:innen sollen Gelegenheit haben im digitalen Raum zu schreiben und dabei digitale Tools und Hilfsmittel zu nutzen.

    Was ist im Netz los? Der Fremdsprachenunterricht darf nicht beim analogen Wort verharren: Welche Netzphänomene sind aktuell? Wie funktionieren verschiedene Netzkulturen? Wie wird über Digitalität gesprochen? Allein schon im Bereich des Wortschatzes gibt es zahlreiche Neologismen, die in den Unterricht gehören.

  2. Einen Workflow mit sinnvollen digitalen Tools im Unterricht etablieren:

    Hier ist weniger mehr: Ein Tool zum Wortschatzlernen wie z.B. Quizlet, eins zum kollaborativen Austausch und zur Materialsammlung wie TaskCards, eine kollaborative Schreiboberfläche ohne Anmeldung (wie z.B. board.net) und ein leicht bedienbares MindMapping-Tool wie flinga.fi - das reicht für den Anfang vollkommen aus.