Die erste Stunde in einem neuen Kurs

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Von vielen Referendar:innen wird die erste Stunde in einem neuen Kurs, welche womöglich auch die erste Stunde selbständigen Unterrichtens ist, mit Spannung erwartet: Wer sitzt da vor mir? Wie komme ich an? Hoffentlich mögen sie mich! 

Wenn wir Referendar:innen im Fachseminar danach fragen, wie sie diese erste Stunde in einem Kurs gestalten, so lautet oft die einstimmige Antwort, dass organisatorische Dinge am wichtigsten seien: Anwesenheitslisten, Sitzordnungen und Namensschilder, Arbeitsmaterialien, Kriterien für die sonstige Mitarbeit und so weiter. 

In der Tat, diese Punkte sind wichtig. Aber gehören sie unbedingt in die erste Stunde? Und: Woher kommen diese Annahmen? Wer prägt solche Vorstellungen, denen Jahr für Jahr auch gestandene Kolleg:innen folgen?

Seien wir doch ehrlich: Um wen geht es? Es sind doch zuallererst die Schüler:innen, deren Interessen an mir, aber besonders am Fach und ggf. auch am neu zusammengesetzten Kurs. Warum soll die Chance auf ein echtes zwischenmenschliches und unterrichtliches Unterfangen zugunsten einer langatmigen Unterredung über theoretische Werte zur sonstigen Mitarbeit zurückgestellt werden?

Eine in diesem Sinne veränderte Form des Auftakts in einer neuen Lerngruppe setzt also nicht mehr nur Überlegungen zu mir voraus. Die Dimensionen „Schüler:innen“ (wer ist der einzelne, wie ist das Gefüge?) und „Fach oder Fachlichkeit“ (gerade auch aus Schüler:innenperspektive) bieten klientelorientierte Möglichkeiten, ins echte Gespräch über uns und unser Fach zu kommen. Solche Geprächsergebnisse können uns dann alle im kommenden Schuljahr begleiten, sie können bestenfalls im Laufe des Miteinanders erweitert und erneuert werden.

Sicherlich: Zu Beginn des Lehrer:innendaseins kreisen die Gedanken erst einmal um das eigene Lehrer:innenhandeln. Vor dem Kennenlernen eines neuen Kurses darüber nachzudenken, ist ein passender Zeitpunkt. Dies gilt übrigens auch für erfahrene Kolleg:innen, denn Menschen ändern sich, entwickeln sich, sind nicht immer die gleichen. Folgende Fragen können vielleicht dabei helfen:

  • Was kann ich im Umgang mit anderen Menschen gut? Was gelingt mir (noch) nicht immer?

  • Was möchte ich ausprobieren?

  • Welche Befürchtungen habe ich?

  • Was möchte ich von mir preisgeben? Wieviel Nähe zu einer Lerngruppe möchte ich? Wieviel Distanz? Wann bin ich ich?

Wenn ich Antworten auf diese Fragen gefunden habe, fällt es leichter, den Blick auf die Lernenden zu lenken:

  • Wie gestalte ich den Raum, in dem a) wir uns gegenseitig kennenlernen?

  • Wie gestalte ich den Raum, in dem b) sich die Schüler:innen ggf. untereinander kennenlernen?

  • Wie kann ich den Grundstein für eine gemeinsame Arbeit legen, bei der sich alle Beteiligten wohl und wertgeschätzt fühlen?

  • Wie - um das schwebende Damoklesschwert dann doch noch aufzugreifen - kann ich die allseits postulierten Orgadinge und Informationen über die Leistungsbewertung durchaus verbindlich auslagern?

Das gegenseitige Kennenlernen mit der Perspektive der Fachlichkeit zu verbinden, ist in den Fremdsprachen nicht schwierig, denn sobald wir die Zielsprache nutzen, sind wir schon im Fach angekommen. Dass dies zu Beginn sprachlich unterstützt und der Blick auf den Abbau von Sprechhemmungen gelegt werden muss, versteht sich von selbst, gerade nach den Sommerferien und gerade in einer neu zusammengesetzten Lerngruppe. In den ersten Stunden vielseitig sprachliche Unterstützung zu geben, so fehlertolerant wie möglich zu sein und es allen Schüler:innen zu ermöglichen, aktiv teilhaben zu können, stärkt den/die Einzelne(n) und die Gruppe, was sich später auszahlen wird.

Den Fokus zu Beginn auf das gemeinsame Arbeiten zu richten, lohnt sich ebenfalls, will aber sorgfältig geplant sein. Auf die Frage, was Schüler:innen vom Fremdsprachenunterricht erwarten, kommen häufig wenig präzise Antworten à la „Ich möchte die Sprache lernen” oder „Ich möchte sprechen können.” Wenn man Lernenden aber Zeit gibt, in einer Gruppe darüber nachzudenken, wie für sie guter Fremdsprachenunterricht aussieht und wie er keinesfalls sein sollte, erhält man einen aufschlussreichen Überblick über Vorlieben und Abneigungen der jeweiligen Lerngruppe. Sollte sie ein derartiges Nachdenken über Unterricht noch nicht kennen, hilft es, den Lernenden vorab verschiedene fremdsprachenunterrichtliche Arbeitsweisen vorzustellen bzw. ins Gedächtnis zu rufen. Eine Sondersituation stellt die erste Stunde Spanisch in einer Anfänger:innengruppe dar - die Schüler:innen sprechen die Zielsprache noch nicht und kennen sich nicht. Ideen für die Gestaltung dieser Stunde finden sich hier.

Im Fach Deutsch an weiterführenden Schulen sieht es mit den Erwartungen an guten Deutschunterricht schon ganz anders aus: Der Blumenstrauß an Erfahrungen seit der Grundschule bis zum aktuellen Wechsel der Lehrkraft ist bisweilen mannigfaltig. Was für eine Chance! Entsprechend lässt sich eine Verbindung aus Kennenlernen, Erwartungen an guten Unterricht und fachlichem Gesprächsanlass schnell schaffen, wenn die Lernenden beispielsweise herausgefordert und ernstgenommen werden: Lyrik nervt!* - könnte einer dieser neuralgischen Punkte sein, der die persönlichen Lernbiographien und die Vorstellungen von gutem Deutschunterricht am konkreten Gegenstand und mit geeigneter Methode (z.B. im Partnerspaziergang) zusammenbringt.

Warum nämlich nervt Lyrik? Und wie sollte der Unterricht zu Gedichten bestenfalls funktionieren, damit Lyrik nicht mehr nervt? Schüler:innen gleich welcher Jahrgangsstufe bringen hier die unterschiedlichsten inhaltlichen und methodischen Vorerfahrungen mit, die wie reife Früchte nur noch gepflückt werden müssen. Nicht zu verachten ist zusätzlich, dass sich Schüler:innen (wie viele von uns Lehrenden auch) in einem Wandel hin zu einer Kultur der Digitalität** befinden und angesichts der jüngst gemachten Erfahrungen unter Pandemiebedingungen über ihr Lernen, ihre (neuen) Lernwege und über die sich daraus ergebenden Möglichkeiten nachdenken. All diese Überlegungen in ein Kennenlerngespräch zu integrieren und am konkreten Gegenstand auszuprobieren, wird dem Aspekt der Vielfalt gerecht, kommt einer informellen und oft längst überfälligen Evaluation gleich und ermöglicht niedrigschwellig, lohnende Form des gemeinsamen Lernens und Miteinanders in den Blick zu nehmen.

*Andreas Thalmayr (d.i. Hans Magnus Enzensberger): Lyrik nervt! Erste Hilfe für gestreßte Leser. München: Hanser 2004.

**Uta Hauck-Thum und Jörg Noller (Hg.): Was ist Digitalität? Philosophische und pädagogische Perspektiven. Berlin: Metzler 2021.

Ausblick

  • Welche eigenen Ideen hast du für deine erste Stunde in einem neuen Kurs?

  • Welche Tipps haben dich begeistert und waren (vielleicht auch erst rückblickend) besonders hilfreich?

Hilf uns, über unsere Unterrichts- und Seminarkultur weiter nachzudenken.
Wir freuen uns, wenn du uns deine Gedanken und Vorschläge zur ersten Unterrichtsstunde in diesem Padlet mitteilst:

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Die erste Spanischstunde in einem Anfänger:innenkurs